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Quo vadis ars?

In zahlreichen Interviews, Corona-Tagebüchern, Kommentaren und Berichten wurde in den letzten Wochen die Situation der Kulturbranche beschrieben und diskutiert. Unsere kommentierte Sammlung von mittlerweile 193 Quellen versammelt Stimmen aus unterschiedlichen Sparten und Medien. So entsteht ein Bild der Kulturlandschaft in der Krise, deren zeitliche Wandlung interaktiv über eine eigene Tag-Cloud erdkundet werden kann.


 

Der deutsche Staat verachtet Selbstständige und Kreative

by Sascha Lobo (09 Dec 2020)
Original source: Der Spiegel

Warum erhalten Solo-Selbständige in der Krise so wenig Unterstützung durch die GroKo? Diese Frage beschäftigt den Autor und Strategieberater Sascha Lobo in seiner Kolumne. Ausgehend von einem Interviews mit dem SPD-Politiker und Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil, in dem dieser darauf verwiesen hat, dass die Corona-Hilfen Mittel der Solidargemeinschaft sind. Da die Selbständigen bislang in keine Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben, sind sie nun auf Transferleistungen des Staates angewiesen.  Aus diesem Grund fordert er im In terview eine Versicherungspflicht für Selbständige.
Was sich auf den ersten Blick plausibel anhört, erweist sich bei genauerem Hinsehen als Versuch, Selbständigkeit in Deutschland einzudämmen. Grundsätzlich leisten die Selbständigen einen wichtigen Beitrag zur Solidargemeinschaft, indem die Rentenkasse seit Jahren zu einem Drittel mit Steuermitteln aufgefüllt wird, da die Rentenversicherung sonst pleite wäre. Die Selbständigen bezahlen also für eine Leistung, die sie selbst nicht erhalten. Eine Arbeitslosenversicherung für Selbständige ist seit der Jahrtausendwende immer wieder im Gespräch, allerdings wurde sie nie umgesetzt. Das Versäumnis, nicht Festangestellte in Sozialsysteme einzubinden, wird nun aber ins Gegenteil verwendet, da vor allem den Solo-Selbständigen vorgeworfen wird, Transferleistungen – d.h. Leistungen ohne Gegenleistungen – in Anspruch zu nehmen. Dass auch Selbständige Steuerzahler sind, wird stillschweigend übergangen. Auch der Hinweis des Finanzministers Olaf Scholz, dass die in der Pandemie besonders gebeutelten Solo-Selbständigen mit aller Kraft unterstützt werden, ist nicht mehr als ein Lippenbekenntnis. Insgesamt 5.000 Euro werden ihnen bis zum kommenden Sommer angeboten, um ihre massiven Umsatzeinbußen aufzufangen. Novemberhilfen erhalten nur direkt betroffene Selbständige. Da aber gerade die Selbständigen divers aufgestellt sind, fallen sie schnell unter die 80 Prozent-Grenze, d.h. wenn sie weniger Umsätze mit direkt oder indirekt von Lockdown betroffenen Unternehmen erzielt haben, erhalten sie keine Unterstützung. Dabei sind es gerade die Solo-Selbständigen, die mit Innovationen die Wirtschaft voranbringen und unter Umständen so den Grundstein für große Unternehmen legen. Aber erst wenn Selbständige Festanstellungen generieren, erhalten sie die Anerkennung des Staates in Form von Milliardenhilfen, Staatskrediten oder Kurzarbeit.
Wie wenig die Arbeit von Kreativen und Selbständigen geachtet wird, zeigt Lobo am Beispiel der Autorin und Regisseurin Anika Decker auf. Sie hat das Buch des Megaerfolgsfilms »Keinohrhasen« geschrieben, wurde aber am Erfolg von der Produktionsfirma nicht beteiligt. Der verwertende Konzern wurde nun dazu verurteilt, die kreative Arbeit der Autorin zu honorieren, dennoch zeigt das Beispiel, wie wenig Kreativität in Deutschland geschätzt wird.
Warum hat in Deutschland die Selbständigkeit nach wie vor den Ruf unsolidarisch und irgendwie unseriös zu sein? Festanstellung hingegen wird als heilig angesehen? Ein wichtiger Grund hierfür liegt darin, dass zu viele Selbständige unsere sozialen Absicherungssysteme zu Fall bringen könnten. Ab 50 Prozent Steuermittelzuzahlung zur Rentenkasse, könnten Selbständige das System der Rente kippen, da es gegen das Gleichbehandlungssystem des Grundgesetzes verstößt. So wird ihnen wohl auch in Zukunft kein würdiges Instrument zur Altersabsicherung angeboten, stattdessen müssen sie sich Unsolidarität vorwerfen lassen.

 

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tag Festanstellung Stephan Weil Solidarität Solo-Selbständige Arbeitslosenversicherung Olaf Scholz Novemberhilfe Wertschätzung Konzerne
Alle Sparten Statement

Kultur in Krisenzeiten: Mit Vernunft!

by Axel Brüggemann (27 Oct 2020)
Original source: SWR 2

Wo bleibt das Vertrauen in der aktuellen Kulturpolitik? Diese Frage stellt Axel Brüggemann in den Fokus seines Kommentar zur Lage der Bühnen in Deutschland. Trotz verschiedener von Wissenschaftlern begleiteter Veranstaltungsreihen, in denen keine Infizierung mit Corona nachgewiesen werden konnte, sind die Theater und andere Kulturveranstalter aktuell die Leidtragenden des politischen Schlingerkurses. Sinn kann er in den Regelungen keinen mehr erkennen: Mit nur noch 50 Besuchern, wie es die aktuelle Coronaverordnung in Bayern bei Überschreitung des Inzidenz wertes von 100 Infizierten pro 100.000 Einwohnern vorsieht, steht auch ein hochsubventioniertes Haus vor dem Ruin. Nachdem sich einige Intendanten bereits während des Frühjahrs wenig erfolglos gegen die Schließung ihrer Häuser zur Wehr gesetzt hatten, scheint aktuell ein letztes Aufbäumen der Kulturschaffenden zu verzeichnen zu sein. Das ist gefährlich. Einerseits werden sich die Kulturschaffenden andere Bühnen suchen, die eventuell auch von Coronaleugnern zur Verfügung gestellt werden. Andererseits sind gerade die Bühnen wichtige Orte, des demokratischen Diskurses und des faktenbasierten Streites. Sie sind Vordenker, Experimentierfelder und innovative Anstalten. Wenn sie nur noch das Stück »Überlebenskampf« spielen können, dann werden sie nicht nur ihrer Funktion nicht mehr gerecht, sondern kämpfen auch stellvertretend um unsere offene und aufgeklärte Gesellschaft.
Und sollte es doch unvermeidbar werden, die Theater zu schließen, dann fordert Brüggemann, ihnen eine andere Plattform für den Diskurs zur Verfügung zu stellen. Kostenloses Streaming lässt nicht nur die Wertschätzung der künstlerischen Arbeit vermissen, sondern ist auch nicht das richtige Format, um in einer aufgeklärten Gesellschaft zu diskutieren.

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tag Theater Hygieneregeln Bühne als Diskursraum Streaming Inzidenzwert Wertschätzung
Darstellende Kunst Kolumne

»Die Ärzte« über Musik und die Pandemie

by Bela B., Rod Gonzalez, Farin Urlaub, Ingo Zamperoni (23 Oct 2020)
Original source: Tagesschau

Mit der Punkband ›Die Ärzte‹ war am Freitagabend ein ungewöhnlicher Gast in der Tagesschau. Ziel des Auftritts war, auf die Lage der Veranstaltungsbranche hinzuweisen. Nicht nur viele Musiker*innen können nach wie vor nicht auftreten, auch die vielen Solo-Selbständigen hinter der Bühne sind seit nunmehr 7 Monate weitgehend ohne Aufträge. Nicht nur der Stellenwert der Kunst muss in der Gesellschaft bewusst gemacht werden, zugleich müssen die Hilfsangebote an die Lage der Branche angepasst werden. Im Gespräch kam die Hi lflosigkeit selbst berühmter Musiker*innen angesichts der Krise zum Ausdruck. Zwar unterstützen ›Die Ärzte‹ Aktionen wie #AlarmstufeRot und ein Hilfsprojekt für Berliner Clubs, die aber nicht so erfolgreich sind wie erhofft.

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tag Musikbranche Veranstaltungsbranche Solo-Selbständige Berufsverbot #AlarmstufeRot Existenzangst Wertschätzung
Musik Interview

Schauspielerin Stephanie Lexer über Art ist relevant . Wie wichtig ist Kunst?

by Stephanie Lexer (31 May 2020)
Original source: Nachrichten München

Kunst und Kultur ist in unserem Alltag ständig präsent. Ob es die Musik ist, die wir im Radio hören, die Serie, die wir am Abend sehen oder das Buch, das wir lesen. In der Corona-Krise haben sich viele der Akteur*innen nicht wahrgenommen gefühlt. Nicht nur wurde Kunst und Kultur nicht als systemrelevant eingeschätzt, auch der einzelne hatte das Gefühl, dass seine Arbeit nicht geschätzt wird. Die Initiative »Art ist relevant« sieht darin ein Symptom unserer Zeit, dass durch die Corona-Krise verstärkt wird. Die Wertsch&au ml;tzung für Kunst und Kultur sinkt in der Gegenwart immer mehr. Das muss sich ändern! Gleichzeitig muss sich aber auch die Branche bewusst werden, dass sie das Denken und Handeln der Gesellschaft maßgeblich prägt und damit auch die Verantwortung hat, sich Gedanken zu machen, wie unsere Welt aussehen soll.
Die Schauspielerin Stephanie Lexer ist Mitinitiatorin der Initiative »Art ist relevant«, die sich aber nicht als reine Corona-Initiative verstehen möchte, sondern sich auch darüber hinaus für die Belange von Kunst und Kultur einsetzen wird. Ein Beispiel ist hier die kritische Hinterfragung von Onlineangebote. Oft entsteht der Eindruck, dass die Arbeit von Künstler*innen aller Sparten als Hobby verstanden wird, das problemlos online zur Verfügung gestellt werden kann. Dabei handelt es sich auch hier um einen Beruf, mit dem der Lebensunterhalt verdient werden muss.
Im Interview berichtet Lexer auch, über ihre Erfahrungen während des Lockdowns. Als Schauspielerin ist sie viel unterwegs und trifft Menschen. Der fehlende Austausch, das befruchtende Gespräch hat sie am meisten vermisst. Darüber hinaus ging die Phase des Lockdowns weit über die Planungsunsicherheit hinaus, mit der Künstler*innen in ihrem Alltag umgehen müssen. Dadurch dass kein Ende absehbar war, war die Akquise neuer Aufträge unmöglich. Auch aktuell können die Produktionsfirmen nur schwer planen und Termine werden immer wieder verschoben. Hinzu kommt, dass das zwischenmenschliche Zusammenleben dauerhafter gestört zu sein scheint: Die energetische Distanz zwischen den Menschen ist auch im persönlichen Kontakt spürbar.
Zum Abschluss des Gesprächs verweist Lexer auf die Notwendigkeit Kunst und Kultur in der Krise zu unterstützen: Viele Initiativen wurden in den letzten Monaten gestartet, um die Existenz von Kulturanbieter wie Kinos und Theatern vor Ort zu sichern Hierzu gehört auch, nicht alles im kostenlosen Onlinestreaming in Anspruch zu nehmen, sondern auch die Bereitschaft zu zeigen, für Angebote im Internet zu bezahlen. Vor allem die Einrichtungen, die nicht staatliche gefördert sind, sind auf diese Form der Unterstützung dringend angewiesen.

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tag Systemrelevanz Wertschätzung Onlineangebote Filmproduktion Stephanie Lexer Kulturförderung
Alle Sparten Video-Interview

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Bei facing arts handelt es sich um ein non-profit-Projekt, das Sie gerne unterstützen können. Nutzen Sie dazu unser Kontaktformular – wir setzen uns gerne mit Ihnen in Verbindung!

Das Team

Facing arts ist ein Projekt von STORM.

STORM spielt als Akronym mit den Namen Miriam Seidler und Tim Otto Roth, die wie viele anderen Freischaffende von der Corona-Krise betroffen sind. Miriam Seidler ist promovierte Literaturwissenschaftlerin. Sie publizierte u.a. ein Übersichtswerk zum Alter in der zeitgenössischen Literatur und ist Herausgeberin der Buchreihe Ästhetische Signaturen. Neben ihrer freien wissenschaftlichen Forschung arbeitet sie aktuell als Lektorin und Fachfrau für Öffentlichkeitsarbeit. Tim Otto Roth ist promovierter Kunst- und Wissenschaftshistoriker, Konzeptkünstler und Komponist. In seiner künstlerischen Arbeit ist er vor allem bekannt durch Großprojekte im öffentlichen Raum, Kooperationen mit führenden Wissenschaftseinrichtungen und seine immersiven Licht- und Klanginstallationen.
Miriam Seidler und Tim Otto Roth arbeiten schon seit vielen Jahren immer wieder in unterschiedlichen Projekten zusammen. Neben gemeinsam kuratierten Ausstellungen hat Miriam Seidler das Projektmanagement für Roths immersive Licht- und Klanginstallation [aiskju:b] und die Pressearbeit für verschiedene Projekte übernommen. Mit facing arts realisieren sie ihr erstes künstlerisches Werk.
Weitere Informationen zu den beiden Projektinitiatoren erhalten Sie unter www.miriamseidler.de bzw. www.imachination.net.

Ein besonderer Dank gilt Paco Croket für die Programmierung der Tag Cloud!

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