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Quo vadis ars?

In zahlreichen Interviews, Corona-Tagebüchern, Kommentaren und Berichten wurde in den letzten Wochen die Situation der Kulturbranche beschrieben und diskutiert. Unsere kommentierte Sammlung von mittlerweile 193 Quellen versammelt Stimmen aus unterschiedlichen Sparten und Medien. So entsteht ein Bild der Kulturlandschaft in der Krise, deren zeitliche Wandlung interaktiv über eine eigene Tag-Cloud erdkundet werden kann.


 

Der verzögerte Kulturinfarkt . Resilienz des Kulturbetriebs

by Dieter Haselbach, Pius Knüsel (27 Jul 2020)
Original source: Kulturmanagement

Die Corona-Krise macht die Zweiklassengesellschaft im Kulturbetrieb sichtbar. Während die öffentlich finanzierten Einrichtungen zwar Einnahmeverluste hinnehmen müssen, sind die Jobs der teilweise in Kurzarbeit befindlichen Mitarbeitern sicher. Die öffentlichen Kassen übernehmen die auflaufenden kosten. Anders sieht es im privat finanzierten Bereich aus. Vom Theater über Kinos bis zu Klubs stellt sich die Frage, wie lange die Kapitaldecke ausreichen wird und ob die öffentlichen Hilfen ausreichen, um über die Krise zu kommen. Die Ple itewelle wird nicht ausbleiben. Selbständige Künstler*innen und ihre Hilfsberufe sind die Leidtragende der Krise, vor allem wenn ihre Tätigkeit Publikum voraussetzt: Live-Musiker*innen, Schauspieler*innen, Tontechniker*innen, Festivalmitarbeiter*innen, Kulturpädagog*innen, Honorarkräfte in Musikschulen und Puppenspieler*innen. Diese »unerschöpfliche Reservearme für die Institutionen« war bereits vor der Krise schlecht bezahlt. Da das Einkommen nur für die laufenden Lebenskosten ausreichte, führt dessen Wegfall direkt in eine existentielle Krise.
In Anbetracht der Tatsache, dass bereits vor der Krise über den Publikumsschwund in Kultureinrichtungen und den Bedeutungsverlust der Museen diskutiert wurden, sind die Verfasser über einen Beitrag von Tobias J. Knobloch, Präsident der Kulturpolitischen Gesellschaft, irritiert, der anmahnte, die öffentliche Finanzierung auszuweiten, um die Krisenfolgen für den Kulturbetrieb abzuwenden. In diesem Zusammenhang spricht er auch von Resilienz.
Hierbei darf nicht vergessen werden, dass in der Krise die große Zeit der Kulturverbände ist. Sie versuchen nun, einen Teil von den öffentlichen Geldern abzubekommen. Anders sieht es bei den Solo-Selbständigen aus, die durch die Förderraster der Bundes- und Landesregierungen fallen. Die Kulturverbände wehren sich in dieser Situation dagegen, dass der Zugang zum ALG II der einzige Ausweg aus dieser Misere sein soll. Lediglich Olaf Zimmermann vom Deutschen Kulturrat mahnte, dass der Zugriff auf das soziale Sicherungssystem ein Segen sein, der seit vielen Jahren vier Millionen Menschen zugemutet wurde. Warum also nicht als Künstler*in in Krisenzeiten auf das soziale Netz zugreifen?
Hier kommen die Autoren zum Hauptpunkt ihres Beitrags: Viele Künstler*innen verfügen nicht über ein Geschäftsmodell, das tragfähig wäre und Rücklagen und eine sinnvolle Alterssicherung vorsieht. Krisen- und Altersvorsorge auf später zu verschieben, ist kein Modell mit Zukunft. Auch wenn der Staat aktuell freigiebig ist, muss im Kulturbereich nachhaltiges Wirtschaften Einzug halten.
Aber auch in den öffentlichen Einrichtungen offenbart die Krise des Systems. Da im öffentlichen Bereich keine Rücklagen gebildet werden dürfen, operieren die Einrichtungen immer am Rande der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Andererseits folgt man den Null-Imperativ. Es werden keine Risiken eingegangen, d.h. aber im Umkehrschluss auch, dass keine Veränderungen möglich sind.
Aktuell wird jeglicher Kritik mit dem Hinweis auf die Corona-Krise begegnet. Dennoch stellt sich die Frage, ob die gewählten Förderinstrumente zielführend sind.
In ihrem Ausblick gehen die Autoren davon aus, dass die großen staatlich finanzierten Häuser die Krise überstehen werden, viele Soloselbständige und privat finanzierte Häuser aufgeben werden. Auch der Kulturtourismus wird 2021 wieder einsetzen. Die einzige Chance der Akteur*innen besteht darin, sich neue Handlungsspielräume zu erarbeiten. Einen Kulturinfarkt vermeiden kann man aktuell nur, wenn die Förderinstrumente und Organisationsprinzipien überdacht werden und die Digitalisierung vorangetrieben wird.

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tag Museen Kulturförderung Soforthilfe Solo-Selbständige Hartz IV Olaf Zimmermann Tobias J. Knobloch
Alle Sparten Bericht

Contra: Kunst hat eine schlechte Klimabilanz . Pro und Contra Kulturreisen

by Catrin Lorch (05 Jul 2020)
Original source: Süddeutsche Zeitung

Der Kunstbetrieb ist in den letzten Jahren vor allem zu einem Tourismusfaktor geworden. Blockbuster-Ausstellungen und Mega-Retrospektiven sollten die Kunstinteressierten in Scharen anlocken und so die Umsätze nicht nur in den Ausstellungshäusern, sondern auch in den sie finanzierenden Städten steigen lassen. Die Kritik an diesem Kunsttourismus wurde auch schon vor Corona ab und zu angebracht. Kann es sein, dass gerade die sich selbst als kritisch verstehende zeitgenössische Kunst eine miese Klimabilanz hinterlässt? Mit den neuen Auflage n für den Besuch von Ausstellungen gehören die Mega-Ausstellungen der Vergangenheit an. Besucherzahlen werden zu unkalkulierbaren Größen und auch die Kommunen selbst werden wohl in naher Zukunft eher knapp bei Kasse sein. Mit einer reduzierten Besucherzahl lassen sich horrende Kosten für den Leihverkehr und für die Ausstellungskonzeption nicht mehr bezahlen. So sind die Kurator*innen der großen Ausstellungshäuser von der Tate Modern in London über den Louvre bis hin zu den Uffizien in Florenz – die nicht nur brillante Forschungen und Ausstellungen, sondern zugleich auch tragfähige Wirtschaftskonzepte vorlegen müssen – aktuell dabei, Konzepte für die Zeit nach der Krise zu entwickeln. Nicht nur die Wirtschaftlichkeit, sondern auch die Vernunft gebietet es, sich wieder auf das lokale Publikum zu besinnen. Das muss nicht unbedingt zu lasten der Ausstellungen gehen, können sich die Kurator*innen doch nun wieder auf Inhalte besinnen und Werke sowie Künstler*innen zu ihrem Publikum bringen, das mehr erwartet als einen passenden Hintergrund für den flanierenden Kunsttouristen.

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tag Bildende Kunst Kulturtourismus Klimabilanz lokales Publikum
Darstellende Kunst Diskussion

Pro: Kunst ist Kulturverständigung - und deshalb politisch . Pro und Contra Kulturreisen

by Nicolas Freund (05 Jul 2020)
Original source: Süddeutsche Zeitung

War Kunst früher ein Mittel, um Herrschaft zu symbolisieren, so ist sie in der Gegenwart befreit. Die Originale werden zunehmend überflüssig, wohingegen ihre Reproduktionen in unterschiedlichen Medien und Kontexten auftauchen. Liberalisierung und Demokratisierung haben aber auch zur Folge, dass die Originale im Museum für die Allgemeinheit zugänglich werden.  Nachdem das Auswärtige Amt die Reisewarnung für eine ganze Reihe von Ländern aufgehoben hat, stellt sich die Frage, ob es ausreicht, wenn die Kunst zuhause verfügbar ist. Online durch ein Ausstellungshaus zu flanieren, ist nicht mit dem Erlebnis der Originalarbeiten zu vergleichen.
Folgt man der von dem Schriftsteller John Berger in seinem Essay »Ways of Seeing« formulierten These, so ist die Betrachtung von Kunst nicht nur ein demokratischer Akt, sondern gerade aufgrund der Lösung von der herrschenden Kaste auch ein Ort der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Der Perspektivwechsel in der Gegenwart macht die Kunst zugleich zu einem idealen Ort für die Verhandlung gesellschaftlicher Diskurse. Damit haben auch die Kunstreisen eine ganz andere Bedeutung als ein Badeurlaub – sie sind Bildung und Kulturverständigung. Wenn die Sicherheitsvorkehrungen eingehalten werden, ist die Infektionsgefahr relativ gering – ganz beherrschbar wird sie nicht sein. Jetzt die Lage auszusitzen, ist keine realistische Lösung.
Darüber hinaus darf nicht vergessen werden, dass Ausstellungen und Messen auch ein intellektuelles Forum für die lokale Kunstszene bildet, die ebenso von den Kulturtouristen profitiert wie freie Kultureinrichtungen, für die die Krise im Unterschied zu den staatlich subventionierten Häusern existenzbedrohend ist. Das Privileg an Kunstveranstaltungen teilhaben zu können, darf nicht leichtsinnig aufgegeben werden, nur weil es im Moment etwas schwieriger ist, die Bedingungen zu schaffen.

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tag Bildende Kunst Kulturtourismus Original Demokratie Austausch
Bildende Kunst/Design Diskussion

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The signet of facing arts joining the faces of STORM.

Bei facing arts handelt es sich um ein non-profit-Projekt, das Sie gerne unterstützen können. Nutzen Sie dazu unser Kontaktformular – wir setzen uns gerne mit Ihnen in Verbindung!

Das Team

Facing arts ist ein Projekt von STORM.

STORM spielt als Akronym mit den Namen Miriam Seidler und Tim Otto Roth, die wie viele anderen Freischaffende von der Corona-Krise betroffen sind. Miriam Seidler ist promovierte Literaturwissenschaftlerin. Sie publizierte u.a. ein Übersichtswerk zum Alter in der zeitgenössischen Literatur und ist Herausgeberin der Buchreihe Ästhetische Signaturen. Neben ihrer freien wissenschaftlichen Forschung arbeitet sie aktuell als Lektorin und Fachfrau für Öffentlichkeitsarbeit. Tim Otto Roth ist promovierter Kunst- und Wissenschaftshistoriker, Konzeptkünstler und Komponist. In seiner künstlerischen Arbeit ist er vor allem bekannt durch Großprojekte im öffentlichen Raum, Kooperationen mit führenden Wissenschaftseinrichtungen und seine immersiven Licht- und Klanginstallationen.
Miriam Seidler und Tim Otto Roth arbeiten schon seit vielen Jahren immer wieder in unterschiedlichen Projekten zusammen. Neben gemeinsam kuratierten Ausstellungen hat Miriam Seidler das Projektmanagement für Roths immersive Licht- und Klanginstallation [aiskju:b] und die Pressearbeit für verschiedene Projekte übernommen. Mit facing arts realisieren sie ihr erstes künstlerisches Werk.
Weitere Informationen zu den beiden Projektinitiatoren erhalten Sie unter www.miriamseidler.de bzw. www.imachination.net.

Ein besonderer Dank gilt Paco Croket für die Programmierung der Tag Cloud!

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